HOX Life Science

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Vereinbarung von Familie und Karriere – Teil 1: Elternperspektive und Unternehmenssicht

von Dr. Morna Gruber und Dr. Marta Lee

Das Thema der Familienplanung ist gerade für Akademiker und Akademikerinnen sehr komplex, da die Zeit bis zum Abschluss deutlich länger dauert als in Ausbildungsberufen. Oft ist man bei Abschluss der Promotion schon um die 30. Man möchte in die Industrie einsteigen und nun endlich die Früchte der langen Studienjahre ernten. Man strebt nach dem verantwortungsvollen Job und will endlich angemessen Geld verdienen. Gleichzeitig ist da der Wunsch nach erfüllender Partnerschaft und Kind(ern) und so langsam wird die Zeit knapp. Die Frauen haben zusätzlich das Problem, dass die (potenzielle) Mutterschaft den Jobeinstieg erschweren und den Karriereverlauf negativ beeinflussen kann. Es stellt sich die Frage: Sind denn eine Partnerschaft auf Augenhöhe, Kind(er) und erfolgreiche Karriere beider Elternteile überhaupt vereinbar? Und wie sehen eigentlich die Unternehmen die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf?
Wir haben den Eindruck, dass es beim Themenkomplex „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ in der öffentlichen Diskussion - insbesondere auf Social Media - nicht nur verschiedene gegnerische Lager gibt - wie z.B. Arbeitgeber gegen Arbeitnehmer*innen; Männer gegen Frauen; „Working Moms“ gegen kinderlose Frauen; Generation Z gegen Boomer, sondern dass sich jedes einzelne Individuum von Beiträgen zu diesem Thema sofort maximal getriggert und auch persönlich angegriffen fühlt. In unserer Wahrnehmung stellt es sich oft so dar, dass in den Diskussionen zu diesem Thema eher Gräben gezogen als Brücken gebaut werden. Wir möchten Brückenbauerinnen sein, indem wir alle Beteiligten einladen, einen Perspektivenwechsel zu vollziehen und sich auf die Erfahrungswelt des anderen einzulassen - ganz ohne gegenseitige Vorwürfe oder das Ringen um die Deutungshoheit oder den Anspruch auf Wahrheit. Wir wollen zunächst eine individuelle Elternperspektive und eine persönliche Unternehmerinnenperspektive für sich sprechen und wirken lassen und im zweiten Teil zu diesem Thema werden wir dann in die abstraktere Problemanalyse gehen, Lösungsvorschläge anbieten und vor allem auf Akademiker abgestimmte Tipps geben, die schon Absolventen und Absolventinnen berücksichtigen können, um Familienplanung und Karriere zufriedenstellend miteinander zu harmonisieren und so ein in allen Bereichen ein erfüllendes und selbstbestimmtes Leben zu gestalten. Beginnen wir mit der Elternperspektive formuliert von Marta, 40 Jahre alt, promovierte Biologin, als Managerin Marketing Solutions Führungskraft in einem mittelständischen Unternehmen mit einer Arbeitszeit von 35 Stunden in der Woche und Mutter eines 3,5 Jahre alten Sohnes.
Elternperspektive
Elternperspektive:
„Meinem Mann und mir sind eine gleichberechtigte Partnerschaft und das Familienleben sehr wichtig. Unser Kind hat zwei Elternteile und uns ist eine enge Beziehung zu dritt sehr wichtig. Deshalb hat mein Mann nach der Geburt auch 4 Wochen Urlaub gehabt und die letzten drei Monate der Elternzeit haben wir gemeinsam genommen. Wir hatten beschlossen, dass ich nach einem Jahr wieder in den Job zurückgehe und wir uns die Care-Arbeit gleichmäßig aufteilen. Wir haben beide viel in unsere Ausbildung investiert, deshalb ist es uns wichtig, uns in unseren Jobs einzubringen und leitende Verantwortung für Projekte zu übernehmen. Projektverantwortung zu haben heißt aber gleichzeitig auch, dass unsere Arbeitgeber sich darauf verlassen, dass wir nachhaltig und verantwortungsbewusst den Projektfortschritt sicherstellen. Um ein wenig zeitlichen Spielraum zu gewinnen, haben wir beide unsere Stunden leicht reduziert, was unsere Arbeitgeber eher positiv aufgenommen haben, da beiden Arbeitgebern realistische Absprachen lieber sind, da diese zu mehr Konsistenz im operativen Arbeitsalltag führen. Was es bedeutet ein Kind zu haben, welche Verantwortung man hat und wie es sich anfühlt, das kann man sich vorher nicht vorstellen – nicht einmal ansatzweise. Erst wenn man ein Kind hat, weiß man, wie nichtsahnend man diesbezüglich vorher war. Deshalb kann ich auch niemandem einen Vorwurf machen, der nicht zu 100% Verständnis für meine Situation aufbringt. Mit Kind richtet sich jegliche Planung nach den Kita-Schließzeiten oder Krankheitsfällen. Wenn mein Kind krank wird, dann heißt das für mich als berufstätige Mutter erstmal meinen Kalender zu prüfen, was steht heute an, welche Termine kann ich verschieben und welche müssen unbedingt gehalten werden. Das gleiche macht auch mein Mann und wir prüfen, wer wann bei unserem Kind bleiben kann. Mein Mann und ich unterstützen uns gegenseitig. Denn unser Kind hat 2 Elternteile und beide Elternteile haben auch einen Job. In beiden Jobs müssen wir Prozesse am Laufe halten, um für die Unternehmen, für die wir arbeiten, Geld zu erwirtschaften, von dem wir bezahlt werden. Also wägen wir gemeinsam ab, wer wann einfacher die Betreuung übernehmen kann und weniger Aufwand mit dem Umverteilen von Aufgaben hat. Wir versuchen diese manchmal auftretende Zusatzbelastung für unsere beiden Arbeitgeber ausgeglichen zu halten. Manchmal gibt es dann trotzdem Situationen, da lässt sich die Problematik nicht so leicht auflösen und ich stehe im Zwiespalt, denn ich habe Verantwortung — in meinem Job, aber erst recht für mein Kind. Ich will nicht die ‚Ich-bin-Mutter-alle-müssen-Rücksicht-nehmen‘ Karte spielen. Mir ist es unangenehm, wenn andere durch mich Umstände haben. Trotzdem gibt es Situationen, in denen ich um Rücksicht und um Kompromissbereitschaft von meiner Vorgesetzten oder von Kollegen und Kolleginnen bitte, damit Projekte und Prozesse weiterlaufen können und es durch mein Fehlen nicht zum Stillstand kommt. Ich bin froh, in einem Team zu arbeiten, in dem wir uns gegenseitig unterstützen, und dass unsere Arbeitgeber Verständnis für solche Situationen haben. Besonders schwierig wird es allerdings zur Urlaubszeit/Kita-Schließzeit. Ich muss Urlaub nehmen, wenn die Kita Betriebsferien hat. Es geht es nicht anders, auch wenn ich mit Großeltern viel überbrücken kann. Aber manchmal scheint es eine unlösbare Problematik zu sein, denn es gibt nicht nur andere Mütter und Väter in meinem Team, auch mein Mann hat Kolleg*innen, die Kinder haben, die wiederrum auch Partner*innen in anderen Unternehmen haben. Ein exponentielles Problem. Bei all diesen Versuchen die Vielzahl der Bedürfnisse zu befriedigen, erreicht mich ab und zu der Einwand: „kinderlose Mitarbeiter*innen haben auch Bedürfnisse und sie können nichts dafür, dass eure Kita zu hat“. Dann bricht bei mir alles zusammen. Das sind Momente, in denen ich alles hinschmeißen will. Natürlich können sie nichts dafür, natürlich will ich nicht, dass irgendjemand wegen mir zurückstecken muss. Gleichzeitig gibt es irgendwann zu viele Parteien, deren Ansprüche ich gerecht werden muss. So komprimiert die Schwierigkeiten aufzulisten klingt recht düster. Deswegen möchte ich betonen, dass meistens alles smooth läuft. Das funktioniert, weil sowohl mein Mann als auch ich generell eine große Flexibilität in der Gestaltung unserer Arbeitszeit haben und eine vertrauensvolle Teamkultur in unseren Unternehmen existiert. Wir haben etabliert, konstruktiv und transparent zu kommunizieren. Bei unvorhergesehenen Notfällen skizzieren wir die Situation und bieten auch gleich einen Lösungsvorschlag an. Dabei wird aber auch klar formuliert, was nicht geht, damit der Arbeitgeber weiß, woran er ist. Das kann dann so aussehen: „Mein Sohn ist krank, ich werde mit ihm 3 Tage zuhause bleiben. Die restlichen beiden Tage übernimmt mein Mann die Betreuung, so dass ich meine Termine auf Donnerstag und Freitag schieben kann. Da ich weiß, dass am Mittwoch Deadline für die Abgabe ist, habe ich XY gebeten mir hier zu helfen und bei dringenden Fragen kann er mich gerne anrufen. Sollte ich nicht gleich rangehen können, rufe ich so bald wie möglich zurück.“ Am Ende bietet auch die beste Kommunikation keine Garantie dafür, dass es immer alles völlig konfliktfrei gelöst werden kann. Aber das Gegenüber in seine Sichtposition einzuladen und zu erklären, was das Problem ist und wie man es lösen könnte– das hilft allen Parteien. Wenn Mama und Papa dann noch Halbe/Halbe machen und sich bei der Zielfindung unterstützen, dann wird aus der Stressfahrt in der Rush-Hour eine entspannte Navigation und auch für den Arbeitgeber bleibt man trotz der Extraportion Flexibilität, die man benötigt, dennoch ein verlässlicher Projektleiter bzw. eine verlässliche Projektleiterin und den Kollegen und Kolleginnen ein zuverlässiges Teammitglied.“ Nun folgt die Schilderung aus Unternehmenssicht repräsentiert durch Morna, 46 Jahre alt, promovierte Biologin, geschäftsführende Gesellschafterin eines Unternehmens mit rund 50 Mitarbeitern und Mutter zweier erwachsener Söhne im Alter von 22 und 24 Jahren.
Unternehmer*innenperspektive
Unternehmer*innenperspektive:
Da ich selbst Mutter bin und mich noch sehr gut erinnern kann, wie herausfordernd das Leben mit jüngeren Kindern war, achte ich bewusst darauf, meinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen eine familienfreundliche Organisationsform zu bieten. Viele meiner Mitarbeiterinnen sind Mütter. Einige waren schon Mütter, viele sind es erst während ihrer Betriebszugehörigkeit bei mir geworden. Werdende Mütter im Unternehmen zu haben, heißt auch immer besondere Fürsorge während der Schwangerschaft. Ich achte darauf, die Schwangere nicht zu überlasten und ihre Arbeitsbedingungen und den Arbeitsumfang an ihren individuellen Schwangerschaftsverlauf anzupassen, denn ein hoher Cortisolspiegel durch Stress ist weder für die werdende Mutter noch für den Fötus gut. Natürlich ist eine Schwangerschaft keine Krankheit, aber ganz ohne jegliche körperlichen Einschränkungen oder emotionalen Sorgen und Ängste läuft diese in den wenigsten Fällen ab. Das ist auch völlig in Ordnung, denn eine Schwangerschaft ist eine physiologische Sonderleistung mit Auswirkungen auf Körper, Psyche und Emotion. Wenn eine Mitarbeiterin schwanger wird, dann heißt es für uns beide frühzeitig vorzusorgen. Wir gehen ins Gespräch, involvieren einen Kollegen oder eine Kollegin als Tandempartner*in, damit auch im Falle von häufigeren Fehltagen z.B. bei massiver Schwangerschaftsübelkeit oder im Falle einer plötzlichen auftretenden Arbeitsunfähigkeit die Kunden weiterhin stabil betreut sind und die Projekte reibungslos weiterlaufen. So können wir gemeinsam ein zielführendes Risikomanagement durchführen. Ich bin dankbar, dass „alle meine Mütter und Väter“ realistische Vorstellungen haben und in Gesprächen auch bereit sind, meinen Argumenten aus unternehmerischer Perspektive mit in ihre eigene Sichtweise einfließen zu lassen. So können wir in der Regel gute Kompromisslösungen finden. Die realistische Sicht meiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hilft auch im Umgang mit der Krankheit der Kinder, den Betriebsferien von Kindergärten oder sonstigen unvorhergesehener Zwischenfälle, die beim Leben mit Kindern regelmäßig auftreten: Entweder teilen sich die Elternpaare die Care-Arbeit gleichmäßig mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin, so dass ich mich darauf verlassen kann, dass bei plötzlichem „Kindkrank“ nicht immer gleich eine ganze Arbeitswoche betroffen ist, oder sie tragen die Hauptverantwortung für die Erziehungsarbeit zwar alleine, haben ihren Stundenumfang dann aber so angepasst, dass ein gewisser Puffer für die Bewältigung der auftretenden Zwischenfälle bleibt. Dennoch stellen diese Situationen eine Mehrbelastung für das Unternehmen und das Team dar. Auch wenn die Krankenkassen für 10 Krankheitstage des Kindes - für 2022 und 2023 vom Gesetzgeber übergangsweise auf 30 Tage hochgesetzt - die Lohnfortzahlung übernimmt, fehlt in den Projekten und Prozessen die Arbeitskraft, was kompensiert werden muss. Außerdem genügen die regulären 10 Tage bei Kindern im Alter von ein bis sechs Jahren häufig auch gar nicht und wir müssen als Unternehmen die zusätzlichen Tage auch finanziell stemmen, deshalb wäre es sinnvoll, die Übernahme von 30 Tagen durch die Krankenkassen dauerhaft zu etablieren. Um auf kurzfristige Ausfälle vorbereitet zu sein, haben wir eine klare Vertretungs- und Unterstützungsregelung, so dass immer auch mindestens ein anderes Teammitglied Bescheid weiß und jederzeit einspringen kann. Das hat sich generell bewährt, denn auch Nichteltern werden krank oder haben Urlaub und müssen vertreten werden. Apropos Nichteltern: Als Arbeitgeberin habe ich die Fürsorgepflicht für alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Auch Kollegen und Kolleginnen ohne Kinder dürfen den Wunsch nach einer für sie passenden Work-Life-Balance haben. Ich als Frau und Mutter, habe mich bewusst für einen hohen Mütter- und Elternanteil in meinem Unternehmen entschieden. Da aber gerade mit Kindern immer wieder Abweichungen vom normalen Alltag vorkommen und dies von allen Teammitgliedern aufgefangen wird, muss ich auch die Anliegen meiner kinderlosen Kollegen und Kolleginnen besonders im Blick haben, damit im Zusammenspiel von allen jeder mit seinen Bedürfnissen gesehen wird und man eine Lösung finden kann, die das Team als Ganzes dann auch überzeugt mittragen will und kann. Ich bin Idealistin und habe mein Unternehmen mit der humanistischen Vision gegründet, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die das Wohl und die Würde des Menschen ins Zentrum stellt. Dennoch fühle ich mich bei all meinen Bestrebungen, den Mitarbeitenden die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Privatleben so leicht und selbstverständlich wie möglich zu machen, manchmal sehr zerrieben. Denn bei allem Idealismus sind es in Summe nicht nur sehr viele Bedürfnisse von sehr vielen Mitarbeitenden, die unter einen Hut gebracht werden müssen, sondern ich muss auch eine Vielzahl anderer Parameter der Unternehmensführung im Blick haben, um die wirtschaftliche Stabilität des Unternehmens sicherzustellen. Es herrschen viele äußere und finanzielle Zwänge, die ich stets versuche, meinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gegenüber abzufedern. Umso wichtiger ist mir eine kontinuierliche Kommunikation und der regelmäßige Perspektivenwechsel zwischen allen Beteiligten. Eine gute Unternehmenskultur kann nicht nur vom Unternehmer oder der Unternehmerin allein gestaltet werden. Als Unternehmerin kann ich die Grundbedingungen für eine vertrauensvolle und humanistische Unternehmenskultur schaffen, zum Leben erweckt werden, kann sie nur von allen Beteiligten gemeinsam.
Unterschrift