HOX Life Science

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Produktmanager*in – der perfekte Job für Generalisten und Generalistinnen

von Dr. Morna Gruber und Dr. Marta Lee

Die Position des*der Produktmanager*in ist perfekt geeignet für organisations- und kommunikationsstarke Naturwissenschaftler*innen, die gerne ihre naturwissenschaftliche Expertise gepaart mit betriebswirtschaftlichen Kenntnissen im Arbeitsalltag zur Anwendung bringen wollen. Als Produktmanager*in ist man gleichzeitig auch ein Multi-Stakeholder-Project-Manager und eine wichtige Säule im Unternehmen, um den wirtschaftlichen Erfolg sicherzustellen. Die Generalisten*innen unter den Lesern und Leserinnen spüren bestimmt schon den Impuls, die Ärmel hochzukrempeln und sofort loszulegen. Bevor Ihr loslegt, geben wir Euch hier noch relevante Hintergrundinfos und ein paar wertvolle Tipps mit auf den Weg.
Was macht ein Produktmanager (all genders) eigentlich?
Wir möchten gern ein Bild aus der Musik verwenden, um die Rolle des Produktmanagers einleitend zu illustrieren: Wenn das Produkt ein aufzuführendes Musikstück ist, dann ist der Produktmanager der Dirigent. So wie ein Dirigent ein ganzes Orchester benötigt, um ein Musikstück harmonisch und beeindruckend erklingen zu lassen, benötigt der Produktmanager die Unterstützung einer Vielzahl von Teams aus unterschiedlichsten Fachabteilungen, um ein Produkt zunächst erfolgreich am Markt einzuführen und anschließend über einen langen Zeitraum hinweg umsatzstark am Markt platziert zu halten. Der Produktmanager ist also verantwortlich dafür, dass ein Produkt am Markt erfolgreich ist und dem Unternehmen den notwendigen Umsatz und Gewinn liefert. Seine Zuständigkeit für das Produkt beginnt häufig schon in der Zeit der Produktentwicklung. Diese frühe Etablierung des Produktmanagers im Produktlebenszyklus hat zwei Gründe: 1. Es kostet viel Zeit den Markteintritt eines Produktes strategisch und operativ vorzubereiten 2. Der Produktmanager kann Erkenntnisse aus seinen Marktbetrachtungen an R&D zurückspielen, R&D kann gegebenenfalls Produktanpassungen vornehmen und dadurch wird sichergestellt, dass das Produkt auch den Bedürfnissen der Kunden entspricht und deshalb später tatsächlich auch gekauft wird. Der Produktmanager ist also der aktive Gestalter des Marketingauftritts und des betriebswirtschaftlichen Erfolges des Produkts und muss dafür ein Multi-Stakeholder-Project-Management unter Einbindung der Abteilungen R&D, Produktion, Quality, Marketing, Vertrieb, Controlling und Geschäftsführung koordinieren und komplexe Prozesse steuern. Wenn man bisher noch nicht viel über Produktmanagement gehört hat, kann man sich nach Lesen dieser Einleitung vermutlich immer noch nicht so richtig vorstellen, was ein*e Produktmanager*in denn nun ganz genau macht. Deswegen stellen wir uns nun folgendes Szenario vor: Ein kleines Unternehmen hat ein neurogenes Differenzierungsmedium entwickelt. Dieses Medium differenziert mit hundertprozentiger Effektivität mesenchymale Stammzellen in voll funktionsfähige Neurone, die auch dauerhaft stabil in ihrer Struktur und Funktion bleiben. Das Unternehmen wird das erste am Markt sein, dessen Medium diese Effektivität und Stabilität in der Differenzierung von MSCs in Neurone aufweist. Wir sind der Produktmanager oder die Produktmanagerin, der*die nun den Markteintritt dieses Mediums vorbereiten soll. Los geht’s.
Marketingprozess
Die Situationsanalyse oder die Frage: Wo steht mein Produkt?
Zunächst analysieren wir den Status quo unter der Leitfrage „Wo steht mein Produkt?“. Wir fokussieren uns heute auf die wichtigsten Parameter der Marktanalyse. Zuerst definieren wir unseren Zielmarkt. Damit ist nicht eine Region gemeint, sondern wir definieren unsere Zielgruppe(n). In unserem Fall ist die Zielgruppe recht schnell beschrieben: Es handelt sich um Wissenschaftler, die MSCs in voll funktionsfähige Neurone differenzieren wollen. Wir müssen allerdings daran denken, dass es nicht nur Wissenschaftler*innen an Universitäten gibt, die sich mit dem Thema beschäftigen, sondern auch Wissenschaftler*innen an anderen Instituten (z.B. MPIs) und in Pharma- und Biotechunternehmen. Das bedeutet gleichzeitig, dass nicht der einzelne Wissenschaftler unser Kunde sein wird, sondern die Institute und Unternehmen, denn diese sind es ja, die die Rechnungen bezahlen. Im nächsten Schritt bestimmen wir das Marktpotenzial für unser Medium. Einfach gesagt, wollen wir wissen, wieviel Geld wir einnehmen könnten, wenn alle potenziellen Kunden des Produktes nur bei uns kaufen würden. Es ist nun unsere Aufgabe als Produktmanager*in zu überlegen, wie wir das Marktpotenzial für unser Medium bestimmen. In Standardmärkten (wie z.B. der Autoindustrie) ist dies etwas einfacher, weil man für diese Märkte meist schon auf eine Vielzahl von veröffentlichten Marktanalysedaten zurückgreifen kann. In einem Nischenmarkt – wie dem Zellkulturmarkt -, muss man sich meist selbst etwas einfallen lassen. Das Gute ist, dass wir als Wissenschaftler*in sozialisiert wurden und Datenerhebung zu unseren Kernkompetenzen gehört. In unserem Fall des Mediums machen wir eine Publikationsanalyse von Papern, in denen Differenzierungsversuche von MSCs in Neurone beschrieben werden und eine Analyse der Webpages von Pharma- und Biotechunternemen, die sich mit der Erforschung von Medikamenten in der Indikationsgruppe Neurologie beschäftigen. Aufgrund der gefundenen Anzahl an Instituten und Unternehmen versuchen wir, das Marktpotenzial abzuschätzen. Die Bestimmung des Marktpotenzials ist wichtig, weil wir unter anderem auf dessen Grundlage auch Absatz- und Produktionsplanung durchführen und das Vertriebs- und Marketingbudget bestimmen. Als nächstes bestimmen wir das Marktwachstum. Man benötigt die Information über das Marktwachstum, da man in einem stagnierenden Markt andere Marketingmaßnahmen anwenden muss als in einem wachsenden Markt, bei dem täglich neue potentielle Kunden dazukommen. Auch für die Bestimmung des Marktwachstums müssen wir uns für unser Nischenprodukt wieder selbst etwas einfallen lassen. Erneut hilft uns unser Wissenschaftler-sein. Wir ermitteln die Anzahl der Publikationen zu diesem Thema jeweils im Jahr 2016 und im Jahr 2021 und ermitteln aus diesen beiden Werten die Wachstumsrate. Angenommen die Analyse hat für den deutschen Raum in 2016 eine Anzahl von 80 Publikationen und für 2021 eine Anzahl von 155 ergeben. Die Wachstumsrate beträgt dann (155 - 80) / 80 = 93,75 %. Wir haben also fast eine Verdopplung in 5 Jahren was eine sehr gute Wachstumsrate ist. Allerdings müssen wir auch die absoluten Zahlen betrachten. Die Zahlen von 80 bzw. 150 Publikationen zeigen uns an, dass der Markt insgesamt eher klein ist und eine leicht abzählbare Anzahl an Kunden umfasst. Deshalb entscheiden wir uns sehr zügig nach Markteintritt in Deutschland auch den Launch unseres Mediums in anderen Europäischen Ländern, USA und Asien vorzubereiten. Der nächste Schritt ist die Wettbewerbsanalyse und die Durchführung des sogenannten Price-Benchmarking. Wir identifizieren also, welche Konkurrenten es am Markt gibt, die auch ein Medium zur Differenzierung von MSCs in Neurone anbietet. Dann schauen wir uns die genauen Produktmerkmale der Medien der verschiedenen Konkurrenten an und analysieren - zum Beispiel wieder über eine Publikationsanalyse oder über Testversuche im eigenen Labor - wie hoch die Differenzierungsseffizenz ist und wie stabil die Zellen im differenzierten Zustand bleiben. Des Weiteren ermitteln wir die Preise, die die Konkurrenten am Markt verlangen. Da wir (in unserem ausgedachten Beispiel) aus den Publikationen herauslesen können, dass die Medien der Konkurrenten es nicht gewährleisten können, voll funktionsfähige Neurone auszubilden und stabil im differenzierten Zustand zu halten, haben wir unsere Unique Selling Proposition (USP) ermitteln können. Bei der USP handelt es sich um das „einzigartige Verkaufsversprechen“, durch das man sich von der Konkurrenz unterscheidet und mit dem man den Kunden zum Kauf des Produkts überzeugen will. Der Kern unserer Botschaft an den Kunden wird also sein, dass wir der einzige Hersteller am Markt sind, der mit 100% Sicherheit und Stabilität MSCs in voll funktionstüchtige Neurone differenzieren kann. Dementsprechend können wir den Preis für unser Produkt auch über den Preisen der anderen Produkte ansetzen und mit einer Hochpreisstrategie in den Markt eintreten.
Die strategische Planung oder die Frage: Wo soll mein Produkt stehen?
Nachdem wir nun alle relevanten Daten gesammelt haben, können wir uns auf deren Grundlage an die strategische Planung machen. Hier machen wir eine Zielgruppenanalyse und bestimmen die Kommunikationsziele für die jeweilige Zielgruppe. Wir hatten ja in der ursprünglichen Zielmarktanalyse schon festgestellt, dass wir zwei unterschiedliche Gruppen an Kunden haben. Einerseits die Kunden aus dem Bereich der Universitäten und öffentlichen Institute und andererseits die Kunden aus der Pharma- und Biotechindustrie. Nun müssen wir analysieren, welche unterschiedlichen Voraussetzungen und Anforderungen an unser Medium die beiden Kundengruppen haben und für jede Gruppe eigene Kommunikationsziele und Verkaufsargumente bestimmen. In der Regel ist es zum Beispiel so, dass die Unis eher preissensitiver sind und eher kleinere Mengen abnehmen möchten. Hier sollten wir also über ein individuelles Preiskonzept für Unis nachdenken. Bei den Pharmaunternehmen hingegen ist es wichtig, dass man auch bei großen Bestellzahlen liefern kann und keine Lieferengpässe entstehen. Des Weiteren haben die Pharmaunternehmen ein Interesse an GMP-gerecht hergestellten Produkten. Hier müssen wir also Maßnahmen entwickeln, mit denen wir die Pharmaunternehmen davon überzeugen können, dass wir jederzeit in GMP-konformer Qualität liefern können.
Der Marketingplan und die operative Umsetzung
Der Marketingplan beinhaltet den konkreten Maßnahmenkatalog und den Zeitplan für die Umsetzung. In unserem Fall des Differenzierungsmediums könnte das so aussehen: (1) Erstellung von Schulungsmaterial zu Produktinformationen und Argumentationshilfen im Verkaufsgespräch für die Vertriebsmitarbeiter und anschließende Durchführung der Schulungen (2) Erstellung von Produktbroschüren für Kunden je nach Zielgruppe (Uni und Industrie) (3) Präsentation des Mediums auf der Webpage und Inkorporation auf der Online-Bestellplattform und im Produktkatalog (4) Planung der Teilnahme an Fachmessen, um das Produkt dort zu präsentieren (5) Planung einer Mailingkampagne für die potentiellen Kunden (6) Ermittlung von öffentlich zugänglichen Kontaktdaten von potentiellen Kunden und Übergabe an den Außendienst. Um nur einige wenige der möglichen Maßnahmen als Beispiel zu nennen.
Controlling – oder die Frage: Wurden die gesetzten Ziele erreicht?
Im Zuge der strategischen und operativen Planung der Maßnahmen zum Markteintritt und des weiteren Vertriebs des Produktes legt man Key Performance Indicators (KPI‘s) fest, anhand derer man überprüfen kann, ob die durchgeführten Maßnahmen erfolgreich sind oder nicht. Im Falle unseres Differenzierungsmediums könnten wir als KPI‘s folgende Parameter festlegen: (1) Anzahl der „wirklich interessierten“ Kunden festgemacht an der Anzahl der potenziellen Kauf-Kunden, die bereit waren das Medium kostenfrei zu testen und ein schriftliches Feedback zu geben (2) Anzahl der verkauften Flaschen in den ersten sechs Monaten nach Markteintritt (3) Umsatzvolumen in derselben Zeitspanne. Sollten diese Ziele nicht erreicht werden, müssen wir zusammen mit dem Vertriebsleiter in „Krisensitzungen“ eine Adjustierung des Marketingplans und der konkreten Maßnahmen vornehmen, um eine Zielerreichung doch noch herbeizuführen und dadurch den erfolgreichen Markteintritt sicherstellen.
Take Home Message
Auf zwei Seiten haben wir nicht die Möglichkeit, die Aufgaben und das Vorgehen im Produktmanagement bis ins kleinste Detail vollständig zu beschreiben. Ziel unserer Darstellung war es die Grundlagen zu erläutern, ein konkretes Beispiel zu geben und Folgendes aufzuzeigen:
  • Die Position des Produktmanagers ist perfekt geeignet für organisations- und kommunikationsstarke Generalisten und Generalistinnen, die ihr naturwissenschaftliches Fachwissen im betriebswirtschaftlichen Kontext anwenden wollen.
  • Wir Naturwissenschaftler*innen sind besonders gut geeignet für die Position des Produktmanagers, da wir während unserer Zeit als Fachspezialisten und -spezialistinnen (z.B. während des PhDs) selbst Anwender solcher Produkte waren und uns deshalb sehr gut in die Bedürfnisse der Kunden sowohl an Produktspezifikationen als auch an die Art und Weise der Kommunikation über das Produkt hineinversetzen können. Dadurch können wir in besonderer Weise auf die Zielgruppe abgestimmte Marketingmaßnahmen generieren.
  • Wir haben allerdings auch gesehen, dass das naturwissenschaftliche Wissen allein nicht ausreicht. Zusätzlich benötigen wir umfangreiche betriebswirtschaftliche Kenntnisse. Um sich den Einstieg ins Produktmanagement in der Industrie zu erleichtern, kann man sich schon während der Abschlussphase an der Uni über Fortbildungen in betriebswirtschaftlichen Themen weiterbilden, und damit die Chancen erhöhen, eine der wenigen Einstiegspositionen als Junior Produktmanager*in zu ergattern. Es gibt aber auch eine Reihe von leichter zu bekommenden Einstiegsjobs z.B. Positionen im Tech-Support, im Application-Management oder im Vertrieb, die man nach ein oder zwei Jahren Berufserfahrung auf der Position als Sprungbrett in den Bereich des Produktmanagements nutzen kann. Da wir heute hier nun zum Ende kommen müssen, schauen wir uns dieses Spektrum an spannenden Einstiegsjobs und ihr Potential für die Weiterentwicklung der Karriere zum Beispiel Richtung Produktmanagement einfach das nächste Mal an.